Cortis Restaurantkritik – der Standard
Blaues Wunder im Café Azzurro
Christina und Stephan Stahl haben schon eines der intimsten Restaurants Wiens. Mit dem Azzurro machen sie jetzt auch eines der coolsten.
Essen? Sensation.
So einer ist das Café Azzurro geworden. Die Stahls haben gemeinsam mit Sommelière Mara Feißt einen Ort daraus gemacht, wo man beim Zahlen schon den nächsten Tisch reservieren möchte. Sollte man auch, die Hütte ist vom ersten Tag an nämlich genauso dicht besetzt, wie sie sich das in den Pariser Träumen vorgestellt hatten. Sie machen aber auch wirklich alles richtig.
Die Farbe der hohen Gewölbedecke wurde abgescheuert, darunter kam ein ziemlich brandungsmäßiges Meeresblau zum Vorschein, beim Möbelblau wurde eher an Yves Klein gedacht, so ein bisserl zumindest. Die eigentliche Sensation ist aber, neben der wunderbar entspannten Stimmung, was aus der Küche kommt. Da ist Stephan Stahl zugange, wenn er nicht gerade mit Gästen plaudert. Geht sich gut aus, weil er mit dem studierten Philosophen Luis Prenninger einen „extrem talentierten“ Quereinsteiger an der Seite hat, und mit Janek Estermann einen Koch mit Wiener Sterneküchen-Erfahrung – was der aber keinesfalls weiterempfehlen möchte.
Brauchen wir eh nicht, solange es Gerichte wie die Kohlrolle mit Erdäpfel-Pilz-Fülle und Krenmousseline gibt, eine vegetarische Interpretation des Krautwicklers von ideal bemessener aromatischer Wucht und köstlichem Biss, meisterlich. Oder Prager Tartare, von Hand geschnitten und mit nichts als Kapern, Olivenöl und einer Idee englischem Senf (Ramsa) abgeschmeckt. Häuft man sich auf in Ochsenmark geröstetes Brot, das eh schon mit Senfkaviar, Petersil und süß geschmorten Zwiebeln belegt ist – purer Luxus, extrem gut. Luis’ Kimchi-Fleckerln interpretieren das Traditionsgericht mit selbstgemachten Flecken und hinreißend sauer-bissig-pikantem Kimchi auf gültige Weise neu, will man haben. Kaspressknödel werden, wie Stahl es einst bei Obauer gelernt hat, mit Grau- und Bergkäse abgemischt, dann ziehen sie schöne Fäden, wenn man sie aus der köstlichen Rindsuppe löffelt.
Bittersalat, ganz süß
So geht es dahin, ein Teller besser als der andere, von der jiddischen Leber (hier mit Rum, Zimt und Preiselbeer zu vorweihnachtlicher Glücksschmier’ verwandelt) über das Rahmherz mit Griesknödel (tiefe, dank Gurkerl, Kräutern und Obers ins pikant Mollige gezogene Aromen!) bis zu einem lauwarmen Salat aus Löwenzahn, Radicchio und Puntarelle (alles vom Sozialprojekt Zentrum Dorothea in Laab/Walde), der mit heißen Heurigen und Schmorzwiebel-Miso-Dressing zu einer Art Hochamt fortgeschrittener Gemüseküche komponiert wird. Groß!
www.cafe-azzurro.at
Folge uns auf Instagram @azzurrowien um nichts zu verpassen.
Alles Liebe und bis bald.
Foto: Rupert Rechling, Gerhard Wasserbauer