Cortis Restaurantkritik
Wilde Garnelen, zahmer Sellerie: Kluge Küche im Kommod
Das Kommod in der Josefstadt ist ebenso winzig wie charmant – aufsehenerregend gut essen lässt sich dort dieser Tage auch
Intarsiertes Edelholz, eine charmante Alkove, wenige, gut beleuchtete Tische, intime Atmosphäre: Eigentlich ist das Kommod schon seit Jahren die ideale Schmuckschatulle, um sich mit seinem liebsten Menschen ein bissl vor der Welt zu verstecken. Die Weinauswahl von Gastgeberin Tina Stahl ist kenntnisreich, die Präsentation diskret, die Küche immer gut, und Handys liegen auch keine auf dem Tisch.
Früher, als Betreiber Stefan Stahl hier noch selbst kochte, hat man sich als Gast vielleicht noch privater fühlen dürfen. Inzwischen haben die beiden mit dem Café Azzurro halt eine zweite, richtig brummende Adresse im Portfolio, dem Vernehmen nach ist ein drittes Lokal in Planung. Also kochte die vergangenen Jahre die Bildhauerin Steffi Parlow: sehr persönlich, fein und ausgesucht, mitunter auch streng, fast karg in der Stilistik.
Seit September stehen mit Georg „Dr.“ Böhm und Benjamin Stangl zwei Neue am Herd. Böhm ist promovierter Arabist und aus dem Café Kandl in angenehmster Erinnerung, mit Stangl hat er einen Co-Küchenchef an der Seite, der aus dem Coburg-Stall kommt und es ganz offenbar auch draufhat. Um 91 Euro kochen sie ein monatlich wechselndes Sechsgangmenü. Und das ist richtig gut. Fein konturiertes, sinnliches, ja kluges Essen mit Lust am großen Geschmack und dem Wissen, dass wenige Elemente und Akzente – die dafür gültig ausgearbeitet – auf dem Teller viel mehr Freude machen als noch so hübsch arrangiertes Getüftle.
Nach einer knusprig gebackenen Grünkohl-Pletschen, mit rauchigem, fast speckigem Melanzani-Relish und pikanter Paprika-Mayo, die Lust auf ein zweites Glas Cava macht (Recaredo Relats 2018, toller Stoff), geht es los: Roh geflämmte Wildgarnele, unwiderstehlich süß und knackig, wird auf hauchfeines Weißkraut gebettet, mit Mandel-Kreuzkümmel-Brösel (ah, die Arabistik!) getoppt und mit einem Dressing aus fermentierten grünen Tomaten umspült. Das findet ganz wunderbar zusammen, lässt der Meeresfrucht den Platz, der ihr gebührt.
Weiter geht es kontrapunktisch: Mit Langpfeffer seidenweich geschmorte „Badger Flame“-Rübe (von Klostergärtner Nikolaus Kramer) wird in ihrem Sud serviert und bekommt ein bissl frisch gemachten Buttermilchkäse oben drauf. Irrsinnig intensive Aromen, bitter und süß, vom komplexen Aroma des Pfeffers völlig durchdrungen – wirkt beim ersten Bissen fast medizinisch in seiner Kraft, legt sich dann aber umso wohliger und mit nicht endenwollendem Nachhall auf die Papillen.
Danach hat der Gaumen sich offenbar Erholung verdient, die kommt in Form eines Sellerieraviolo, der wie ein Berg aus der Parmesanschaum-Nebelsuppe ragt. Die Großnudel badet in feiner Selleriecreme, gefüllt ist sie mit in Milch geschmortem Sellerie und einer Béchamel, die aus dieser Milch aufgeschlagen wurde: So mollig und sanft, wie es klingt, breitet sich die Süße der Knolle auf vielfältig gewinnende Art auf den Teller.
Butterschnitzel, gedämpft
Kühle Miesmuscheln auf knuspriger Erdäpfel-Galette bekommen konzentrierte Velouté aus den Köpfen und Karkassen der Wildgarnele von vorhin an die Seite, noch so ein herrlicher, zwischen Finesse und Wucht, kalt und heiß spielender Meeresfrüchte-Gang. Dann Kalb in zwei Gängen: zuerst Filet als Tataki, mit intensiv schillernder Kapern-Zitrus-Vinaigrette, und dann eine Art gedämpftes Butterschnitzel auf Pastinakencreme mit sauer eingelegten, selbst gesammelten Semmelstoppelpilzen und Herbsttrompeten. Pfeift sich rein gar nichts um die Instagram-Tauglichkeit, schaut aus wie der Inbegriff von Krankenhausessen, reibt einem aber ganz wunderbar im Hirn – weil es so gut ist! Wenn das der Herbst ist, dann soll er bitte bleiben.
Das Dessert, Quitten mit Kardamomkuchen und – sehr gutem – Kaffeeeis –, ist dann vergleichsweise matt – wer beim Käse Ja gesagt und die Auswahl reifer Rohmilchkäse genossen hat, der kann dann eh kaum mehr. Aber: auch das auf die gute Art! (Severin Corti, 29.11.2024)
Fotos: Gerhard Wasserbauer